Besuch der Holocaust-Überlebenden Liesel Binzer an der Gewerblichen Schule

Diskussionsrunde / Schule ohne Rassismus

Die fast 80-jährige Holocaust-Überlebende Liesel Binzer, geb. Michel, berichtete vor Schülern der Zweijährigen Berufsfachschule und des Technischen Gymnasiums von ihren Kindheitserlebnissen im KZ Theresienstadt.

Im Rahmen des Projekts „Schule ohne Rassismus“, das es seit einigen Jahren an der Gwerblichen Schule gibt, nahm der verantwortliche Lehrer Jürgen Tapparelli mit Marina Müller von „Zeugen der Zeitzeugen“ Kontakt auf. Anliegen dieses Projekts ist es, Informationen und Erinnerungen der Holocaust-Überlebenden in die Zukunft zu tragen. Die Schicksale der 6 Millionen getöteten Juden dürfen nicht in Vergessenheit geraten.

Marina Müller, die Liesel Binzer begleitete, betonte in ihrer Einführung, man würde so lange weiterarbeiten bis „Jude“ an deutschen Schulen kein Schimpfwort mehr sei.

Danach berichtete Liesel Binzer sehr anschaulich und noch immer sichtlich bewegt von ihren Erlebnissen während der Nazizeit. Nach dem Novemberpogrom 1938 musste die damals zweijährige Liesel Binzer mit ihren Eltern ihre Wohnung verlassen und in ein sogenanntes „Judenhaus“ umziehen. 1942 musste die Familie auch dieses Haus verlassen und wurde nach Theresienstadt im heutigen Tschechien gebracht. Als wäre es erst wenige Jahre her erzählte Liesel Binzer davon, wie ihre Mutter sie mitten im Juli dick angezogen hatte, da die Familie nur einen einzigen Koffer packen durfte. Den Koffer sahen sie danach nie wieder.

Im Lager wurde die Familie getrennt. Ihr Vater, der im Ersten Weltkrieg beide Beine verlor, konnte anders als ihre Mutter nicht schwer arbeiten. Sie selbst verbrachte die Jahre in Theresienstadt im Kinderheim, wurde in dieser Zeit schwer krank und litt die ganze Zeit unter der Trennung von ihrer Familie. Sie erinnerte sich an die unwirkliche Welt, die die SS für einen NS-Propagandafilm im Sommer 1944 erschuf. Er sollte die vermeintlich guten Lebensverhältnisse im Lager darstellen und die Vernichtungspolitik des NS-Regimes verschleiern. Zu diesem Zweck wurden Kulissen errichtet, die eine normale Stadt zeigen sollten und den Kindern sogar einen Eisbecher versprochen, auf den sich Liesel Binzer unglaublich freute. Leider gab es aber kein Eis sondern nur einen leeren Becher.

Es gab aber auch an einige Momente der Menschlichkeit in dieser irrealen und grausamen Welt. Die jüdischen Betreuer hätten versucht, den Kindern den Alltag so angenehm wie möglich zu machen. Heimlich lernte die kleine Liesel Lesen und Schreiben. Zu ihrem 6. Geburtstag bekam sie schwer krank auf der Krankenstation liegend eine Torte geschenkt. Und immer wieder sprach sie von ihrer Mutter, die mit unglaublicher Kraft, Fleiß und großer Liebe das Überleben ihrer Tochter und ihres behinderten Mannes gewährleistet hatte. Nach Ende der ns-Filmarbeiten wurde das Kinderheim aufgelöst. Ihre Mutter setzte sich energisch dafür ein, dass Liesel Binzer nicht wie die anderen Kinder nach Auschwitz deportiert wurde. 1945 wurde Theresienstadt von den Sowjets befreit und Familie Michel konnte endlich nach Hause.

Zu Hause hieß für die Familie auch nach 1945 Deutschland. Eine Auswanderung kam sowohl wegen der Behinderung des Vaters als auch aus Überzeugung nicht in Frage. Man war Deutscher und sprach nur Deutsch. Die Zeitzeugin berichtete in der sich anschließenden Fragerunde wie es ihr in der Zeit nach dem Krieg ergangen ist. Sie hat geheiratet, bekam drei Kinder und freut sich mittlerweile ihre Enkel hier und in Israel aufwachsen zu sehen. Ihre Familie wuchs, aber die Erlebnisse, die damit verbundenen seelischen Wunden und die Lücken, die die ermordeten Familienmitglieder hinterlassen haben, werden dennoch nie wieder zu schließen sein. Sie selbst kann erst seit einigen Jahren über ihre Erlebnisse sprechen. Am Ende betonte Liesel Binzer: „Es gibt keinen Grund Menschen wegen ihrer Religion oder ihrem Aussehen zu hassen.“

Die Schüler zeigten sich sichtlich bewegt und sollen nun selbst als „Zeugen der Zeitzeugen“ aus dem  Gehörten lernen und davon berichten.

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